Jodokus Willich, Porträt von Frantz Friderich aus dem Jahr 1550
Nur kurze Zeit nach seinem Traktat von 1550 schickte der angesehene Arzt und Professor Jodocus Willich einen weiteren Pestratgeber hinterher: „Wie man sich vorhalten vnnd bewaren sol in den Heuseren, in welchen jemandes an der Pestilentz gestorben ist“, was bedeutet: „Wie man sich in Häusern verhalten soll, in denen jemand an der Pest gestorben ist“.
Seuchen sind der Menschheit ein treuer Begleiter. Es gab sie in biblischen Zeiten, im Mittelalter und in der Neuzeit. Als im 16. Jahrhundert eine Variante der Pest grassierte, verfasste der angesehene Viadrina-Professor Jodocus Willich ein 20-seitiges Traktat zur Thematik. Es trägt den barocken Titel „Wie man denen helffen sol, welche mit der pestilentzische gifft begriffen seind“, was so viel bedeuten tut: „Wie man denen hilft, die an der Pest erkrankt sind“. Gedruckt wurde das schlanke Büchlein im schönen Frankfurt an der Oder von dem frisch einberufenen Universitätsdrucker Johann Eichorn.
Im Jahr 1545 schrieb ein fast 20-jähriger Student die erste Studentenkomödie der Weltliteratur. Die „Komödie aus dem Studentenleben“ des Christoph Stummel wurde sowohl als aufgeführtes Theaterstück als auch als gedrucktes Lesestück ein großer Erfolg. Das Lustspiel ist nun wieder erschienen.
Titelseite des teutschen Acolastus von Georg Binder (1535)
Im Jahr 1529 erschien in Antwerpen ein Drama, das als erste Schulkomödie gilt. Es heißt nach seinem Haupthelden ACOLASTVS und stammt aus der Feder des niederländischen Humanisten Willem de Volder alias Wilhelm Gnapheus (1493-1568). Die Komödie vom verlornen Sohn Acolastus fand Verwendung im Lateinunterricht seiner Zeit und wurde natürlich auch aufgeführt. Das Stück diente darüber hinaus als Orientierungshilfe für den Frankfurter Studenten Christoph Stummel zu seiner Studentenkomödie STVDENTES aus dem Jahr 1545. Mehr kann ich dazu nicht sagen, denn ich habe es nicht gelesen; ich kann kein Latein.
Seit den Neunzigerjahren haben 16 Missionen den Mars erreicht, darunter sechs Rover. Aktuell sind die USA (mit dem Rover Perseverance) und China (mit Zhurong) auf dem Roten Planeten aktiv, der außerdem von einer Sonde der Vereinigten Arabischen Emirate (al-Amal) umkreist wird. Da ist mehr internationaler Verkehr als in Eisenhüttenstadt. Doch jetzt heißt es: Move over, Rover, and let literature take over!
Ich bin immer wieder von den Socken, wenn ich erfahre, wie früh Menschen ins All und zum Mond oder gar Mars geflogen sind. In ihren Gedanken, wohlgemerkt. Bereits der als Ketzer auf dem Scheiterhaufen verbrannte Giordano Bruno († 1600) hatte behauptet: „Es gibt nicht eine einzige Welt, eine einzige Erde, eine einzige Sonne, sondern so viele Welten, wie wir leuchtende Funken über uns sehen.“ Natürlich sind diese auch bewohnt, warum sollte die Unendlichkeit ausgerechnet in dieser Hinsicht begrenzt sein? Was läge da näher, als die kosmischen Nachbarn zu besuchen.
Die Geschwinde Reise auf dem Lufft-Schiff nach der obern Welt. (1744)
Der Astronom Eberhard Christian Kindermann aus Weißenfels machte es wie sein Vorgänger und Landsmann Johannes Kepler. Um seine astronomischen Ansichten unters Volk zu bringen, schrieb er eine Geschichte, zur „Gemüths-Ergötzung“. Doch im Gegensatz zu Kepler formulierte Kindermann in seiner Muttersprache, weswegen er heute als erster deutschsprachiger Science-Fiction-Autor und seine Geschichte als erste deutschsprachige Science-Fiction-Story angesehen wird. Deren vollständiger Buchtitel lautet:
„Die Geschwinde Reise auf dem Lufft-Schiff nach der obern Welt, welche jüngsthin fünff Personen angestellet, um zu erfahren, ob es eine Wahrheit sey, daß der Planet Mars den 10. Jul. dieses Jahrs das erste mahl, so lange die Welt stehet, mit einem Trabanten oder Mond erschienen? Der untern Welt zu curieuser Gemüths-Ergötzung und Versicherung dieser Begebenheit mitgetheilet durch die allgemeine Fama.“
Kindermann ging davon aus, dass der Mars ebenso wie die Erde von einem stattlichen Mond begleitet wird; die Marsmonde Phobos und Deimos wurden übrigens erst 1877 von Asaph Hall entdeckt. In seiner Geschichte schickt er die fünf menschlichen Sinne (Auditus, Visus, Odor, Gustus und Tactus) auf die Reise ins Weltall. Als Transportmittel dient ein mit Vakuum-Kugeln betriebenes „Lufft-Schiff“ – man denke dabei an Otto von Guericke und seine Magdeburger Hallorenkugeln. Die fünf Freunde landen wie geplant auf dem Marsmond.
Reise eines Erdbewohners in den Mars. (1790)
Nachdem die Brüder Montgolfier 1783 den ersten Heißluftballon hatten aufsteigen lassen, schickt der fränkische Radikalaufklärer Carl Ignaz Geiger kurzerhand den ersten Ballon zum roten Planeten. In seinem Kurzroman „Reise eines Erdbewohners in den Mars“ geht alles ganz geschwind, man hält sich nicht mit ausschweifenden Erklärungen auf, stattdessen folgt ein intertextueller Seitenhieb auf Kindermann:
„Wie dies geschah — und wie überhaupt das Schiff, das ich dazu errichten ließ, gebaut war — hiervon werd‘ ich noch einen besonderen Abriss, samt der weitläufigen Beschreibung veranstalten; um nicht, wie irgend ein teutscher Reisebeschreiber, durch die Beschreibung meines Fahrzeuges, beinahe den halben Raum meines Buches auszufüllen.“
Schon auf Seite 8 heißt es: „wir befanden uns — im Mars!“ Der Planet ist natürlich bewohnt und dient als satirische Projektionsfläche. Nacheinander werden die verschiedenen Staaten abgeklappert, wobei erstere Parodien irdischer Reiche sind, der letzte aber Geigers Ideal. In Papaguan herrschen selbstgerechte Buchstabenchristen (Bayern), in Plumplatsko regiert das Militär (Preußen), und in Biribi (Österreich) ist es ähnlich aussichtlos. Zuletzt geht es nach Whashangau, der Hauptstadt von Momoly, dessen Bürger im Naturzustand leben und sich schon mal in der Öffentlichkeit paaren. Allen gehört alles, niemand besitzt Eigentum, „denn die Natur hat keines; sie hat jedem gleiche Rechte, gleiche Bedürfnisse gegeben.“ (Zur Allmende-Klemme äußerte sich Geiger hingegen nicht.) Doch freie Liebe hin oder her – man wird von Heimweh geplagt und kehrt am Ende auf die Erde zurück.
Der schönste Moment war für mich ziemlich am Anfang der Geschichte, denn der Absatz spiegelte meine Situation als Leser und Bewunderer des Retrofuturismus. Da erwähnt der Ich- oder Geigerzähler einen Jesuiten namens „P. Lana“ und einen Spanier namens „Bartholomeo“, die bereits vor langer Zeit „die Kunst in der Luft zu schiffen ans Licht gebracht“ hätten. Der Heißluftballon ist demnach ein alter Hut: „Abermals eine Erfindung aus dem Altertum, die unser prahlerisches Jahrhundert als seine eigene ausgibt, und auch diese noch dazu verstümmelt!“ Und in der Tat, die beiden Luftschiffvisionäre hat es wirklich gegeben, sie hießen Francesco Lana Terzi und Bartolomeu de Gusmão.
Reise eines Marsbewohners auf die Erde. (1791)
Der hessische Theologe und Naturforscher Johann Christoph Röhling bleibt in vielerlei Hinsicht hinter dem fränkischen Revoluzzer Carl Ignaz Geiger zurück. Röhling (* 27. April 1757) kam genau ein Jahr und einen Tag nach der Geburt Geigers (* 26. April 1756) auf die Welt. Als Geiger seine „Reise eines Erdbewohners in den Mars“ 1790 anonym veröffentlichte, setzte sich Röhling sogleich an den Schreibtisch und begann seine „Reise eines Marsbewohners auf die Erde“, die im Folgejahr herauskam, ebenfalls anonym. Der Republikaner Geiger hatte Tuberkulose und formulierte angesichts seines bevorstehenden Todes kurz und pointiert (ca. 30 Seiten), der Monarchist Röhling hatte alle Zeit der Welt und wurde ausschweifend (ca. 300 Seiten). Nach allerlei Geschwafel bezieht sich Röhlings „Marsbewohner“ sogar explizit auf Geigers „Erdbewohner im Mars“, nämlich als er sich seinem irdischen Wirt vorstellt (S. 37):
Marsianer: Ich komme aus dem Mars.
Wirt: Aus dem Mars! Ums Himmels Willen, wie ist das möglich?
Marsianer: Ich sollte denken, daß Sie das ebenso gut als ich wissen könnten.
Wirt: Wieso?
Marsianer: Ein Landsmann von Ihnen hat ja eine Reise dahin gemacht, wir lernten ihn und seine Sprache kennen, sahen den Bau und die Einrichtung seines Schiffes, ahmten nach, und ich wagte es, hierher zu reisen, und wie glücklich ich gefahren bin, sehen Sie mit eigenen Augen.
Wirt: Was bewog Sie aber zu dieser Unternehmung?
Marsianer: Neubegierde! Ich wollte Sitten und Gewohnheiten des Volks, wovon uns der Reisende so viel erzählte, selbst kennenlernen, und sehen inwiefern er eigentlich wahr erzählt.
Daraufhin offenbart der Wirt dem Außerirdischen, dass der Erdling sogar ein weithin bekanntes Buch über seine Marsreise veröffentlicht hat. Der Wirt leiht ihm das Buch zur Lektüre aus, und der Marsianer schreibt eine Art „Rezension“ (S. 42):
Wirt: Apropos! um wieder auf unsern Reisenden in Mars zu kommen, haben Sie das Büchelchen gelesen?
Marsianer: Zum Teil.
Wirt: Und wie finden Sie es? Wahrscheinlich sehr schön?
Marsianer: Gegen das Schöne, sobald es auf das Gesagte ankommt, habe ich nicht das Geringste zu erinnern. Allein wenn Sie dadurch zugleich fragen wollten, ob alles, wahr sei, so muß ich mit nein antworten. Mich deucht, der Mann habe seine Lieblingshypothesen, mit denen er sich in den Mars träumte und sie nachher auf der Erde für Wahrheit verkaufte.
Wirt: Ich stimme Ihrer Meinung bei. Denn ich muß Ihnen nur gestehen, daß er Stoff von unserer Erde scheint genommen zu haben, und die Sache dann den Marsbürgern andichtete.