Und weiter im Programm! Wer mit der U6 in Richtung Alt-Tegel abdüst und am U-Bahnhof Afrikanische Straße seine Untergrundtätigkeiten wieder beendet, der erblickt direkt am BVG-Betriebshof Müllerstraße das Licht einer expressiven Welt. Die ehemalige „Straßenbahnstadt“ ist ein weiteres Beispiel für den Expressionismus der Zwanzigerjahre.
Wir befinden uns im Wedding, genauer gesagt im sogenannten Englischen Viertel. Wobei ich die Bezeichnung ein wenig imperialistisch finde, da es neben Liverpooler, Themse- und Bristolstraße auch schottische (Edinburger Str.) und irische Straßennamen (Dubliner Str.) gibt. Die Bezeichnung „Britisches Viertel“ (vgl. Britische Inseln) wäre hier wohl angemessener.
- Parabel mit Schlusssteinkapitell
- 183a StGB: Erregung öffentlichen Ärgernisses
- Eisenklinker-Portal mit Haustür
Ausgerechnet zwischen Londoner und Belfaster Straße (klingt für mich automatisch nach Trouble) errichtete die Berliner Straßenbahn-Betriebsgesellschaft mbH (BSBG) einen Straßenbahnbetriebshof mit Wohnbauten in aufgebrochener Blockrandbebauung. Die beiden symmetrisch angelegten Wohnblocks umschließen den Betriebshof wie zwei Klammern einen Einschubsatz. Ein spannungsgeladenes Feld ist der Hof aber schon lange nicht mehr, denn die strombetriebenen Straßenbahnen wurden in Westberlin seinerzeit abgeschafft und durch erdölbetriebene Omnibusse ersetzt. Heute stehen hier BVG-Busse und warten auf ihren Einsatz.
- Fassadenansicht Müllerstraße (Anklicken zum Ankieken)
- Expressiver Hochhauscharm
- Die drei Parabelportale.
- Fassade im Halbprofil
- Haustür mit Fenster-Prisma
- Laternen hinter Gitter
- Ein Blick ins Innenleben
- Expressionistischer Eisenklinker
- Auch das ist kulturelles Erbe!
Der Entwurf für die „Straßenbahnstadt“ kam von Jean Krämer (1886-1943), dem Hausarchitekten der Berliner Straßenbahngesellschaft. Krämer hatte wie Gropius, Adolf Meyer, Mies van der Rohe und Le Corbusier zuvor im Büro von Peter Behrens (er erfand für die AEG das „Corporate Design“) gearbeitet, ist aber in Gegensatz zu den Genannten in Vergessenheit geraten. Dabei stammt von Krämer der Verkehrsturm am Potsdamer Platz, Deutschlands erste Ampel; seit 1997 steht dort ein Nachbau.
Bei der „Straßenbahnstadt“ hat Jean Krämer alles verbraten, was der Berliner Expressionist so liebt: parabelförmige Durchgänge, Eisenschmelz-Klinker, Wandfriese, Prismen, Schlusssteinkapitelle und Fassadenfiguren. Die Abbildungen (Anklicken zum Ankieken!) sprechen für sich. Unweit von hier liegt übrigens Bruno Tauts (ein Ex-Expressionist) Schillerpark-Siedlung, die seit 2008 zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört.
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BVG-Betriebshof Müllerstraße
Müllerstraße 79, 13349 Berlin
U-Bahnhof Afrikanische Straße
Entwurf: Jean Krämer (Architekt) & Gerhard Mensch (Bauingenieur)
Eröffnung: 5. September 1927